Das Büro der Anwältin für Gleichbehandlungsfragen ist jährlich mit rund 1.800 Fällen konfrontiert. Am 6. März 2024 erörterten Klaus Widl, Präsident des Österreichischen Behindertenrats, und Gleichbehandlungsanwältin für Menschen mit Behinderungen Christine Steger die Tätigkeit der Bundesbehindertenanwältin.
Klaus Widl: Du bist nun ein Jahr als Bundesbehindertenanwältin tätig – was sind deine alltäglichen Aufgaben?
Christine Steger: Ich habe viele unterschiedliche Termine:
Grundsätzlich wird mir sehr freundlich und offen begegnet. Ich bin sehr viel im Austausch, habe regelmäßig Termine mit Minister*innen, Kabinettchef*innen und Behindertensprecher*innen der Parteien. Es geht mir darum klarzumachen, dass Behinderung eine Querschnittsmaterie ist. Mit diesen Personen spreche ich auch über das künftige Regierungsprogramm. Denn alles, was darin enthalten ist, könnte umgesetzt werden und was darin nicht enthalten ist, wird keinesfalls umgesetzt.
Darüber hinaus habe ich Jours fixes mit Playern und Stakeholdern, um gemeinsam an Themen zu arbeiten. In der Community sind wir uns – mit graduellen Abstufungen – einig, wohin die Reise gehen soll. Ich möchte aber auf verschiedenen Ebenen die „Bubble“ vergrößern, da wir Verbündete, sogenannte „Allies“ brauchen. Deshalb versuche ich, im Rahmen meiner Tätigkeit im Sinne von Disability Mainstreaming Expansion in Kreise zu betreiben, die sich in der Vergangenheit von Anliegen von Menschen mit Behinderungen nicht vordergründig angesprochen fühlten.
Wenn ich Termine wie Sprechtage wahrnehme, bin ich die ganze Woche in ganz Österreich unterwegs. Ich habe monatliche Online-Sprechtage eingeführt, da die Wege in die Landeshauptstädte oft weit sind. Dieses Angebot wird sehr gut angenommen. Zudem finden nun auch in Wien Sprechtage statt. Ich habe fixe Bürobesprechungen, im Büro nehme ich auch an vielen Besprechungen und Fallkonferenzen teil.
Darüber hinaus halte ich viele Vorträge, oft auch für Personen in Sozialberufen. Diese Tätigkeit ist wichtig, denn hier arbeite ich mit Menschen, die in Einrichtungen tätig sind und erhalte ein anderes Bild auf theoretische Problemlagen, etwa Ressourcenknappheit.
E-Mails kann ich oft erst am Abend ansehen. Im Zug verbringe ich die intensivsten Stunden, da ich in dieser Zeit ungestört bin und an Präsentationen, Vorträgen und Kolumnen arbeiten kann.
Mit welchen weiteren Themen warst du in diesem ersten Jahr noch konfrontiert?
Steger: Abgesehen von der Staatenprüfung im Sommer, dem Highlight des Jahres 2023, war ich damit beschäftigt eine effektive Arbeitsweise mit meinem Team zu finden.
Darüber hinaus hat mich die Regionalisierung meines Büros sehr beschäftigt. Es ist gelungen, mit 1. April 2024 eine Außenstelle in Graz zu implementieren. Die von Elke Niederl geleitete Regionalstelle Süd ist für Burgenland, Steiermark und Kärnten zuständig.
Was kannst du umsetzen, wo stößt du an Grenzen?
Steger: Gesetzliche Rahmenbedingungen geben einen engen Handlungsrahmen vor. Im Grunde geht es um Diskriminierung laut dem Bundesbehindertengesetz, dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz und dem Behinderteneinstellungsgesetz. Hier können wir aktiv unterstützen. Viele der rund 1.800 Fällen, mit denen wir 2023 konfrontiert waren, betreffen andere Bereiche bzw. solche, wo viele Personen von schlechten Erfahrungen berichten, wir aber keine Handhabe haben – etwa im Bereich von Gutachten zu Themen wie Pflegegeld, Berufsunfähigkeit oder Einschätzung des Behinderungsgrades. Wir können hier lediglich Interventionsschreiben formulieren, was aber nichts daran ändert, dass wir das System dahinter nicht verändern können, weil es für uns keine Rechtsmittel gibt. Wir können betroffenen Personen nur raten, für das jeweilige Verfahren mögliche Rechtsmittel ausschöpfen und sie dabei unterstützen.
Leider haben wir keinen One-Stop-Shop mit einer verbindlichen begleitenden, beratenden Unterstützung in allen Lebenslagen. Viele Personen, die bei uns landen, waren schon gefühlt überall. Oft stellen sie aufgrund mangelnder Information Anträge zu früh oder spät, nicht korrekt oder erfüllen nicht die geforderten Kriterien. Man erklärt den Menschen auf verschiedene Weise, dass sie anstrengend und kompliziert sind, gerade, wenn es um Behinderung geht. Dies nährt sich aus unserer föderalen Kompetenzverteilung und verschiedenen Zuständigkeiten. Auch wenn ich manifeste Grenzen erlebe, gilt in meinem Büro der Grundsatz, dass wir für alle Menschen da sind. Auch wenn es nur darum geht, ein Entlastungsgespräch anzubieten und Empathie auszudrücken.
Die Verantwortung lastet meist auf den Schultern der diskriminierten Personen. Sie können ein Schlichtungsverfahren einleiten und den Klagsweg beschreiten. Aber es gibt nicht diese eine Stelle, an der man sein Paket abgeben kann. Das ist ein großes Problem.
Eine weitere Grenze ist die Situation von Kindern mit Behinderungen. Es ist ganz klar, dass Familien mit Kindern mit Behinderungen nicht die Unterstützung bekommen, die sie benötigen. Dies ist mitverantwortlich für die 47-prozentige Arbeitslosigkeit begünstigt behinderter Menschen. Gerade in der Pandemie, als das Angebot an Unterstützung, Begleitung und Assistenz ausfiel und es keine ambulante Abfederung der Bedarfe gab, erfuhren etwa Mütter mit Behinderungen und Mütter von Kindern mit Behinderungen besondere Belastungen. Diese Gruppe wird in den Interessenvertretungen und der Gesetzgebung unzureichend repräsentiert. Man muss dann in weiterer Folge nicht darüber sprechen, ob eine Tagesstruktur für Jugendliche oder junge Erwachsene gut oder schlecht ist, denn sie ist in vielen Fällen alternativlos.
Wenn es im gesellschaftlichen Diskurs um Frauenthemen oder Care-Tätigkeit geht, lese ich selten über Problematik der unzureichenden Betreuungsstrukturen für Kinder mit Behinderungen. Hier spielt auch die föderale Struktur und auch Einfluss der Gemeinden eine große Rolle. Denn diese entscheiden beispielsweise, ob etwa eine Sonderkindergärtnerin angestellt oder in der Volksschule Barrierefreiheit hergestellt wird oder nicht. Inklusion nützt nicht nur den direkt betroffenen Kindern, sondern auch deren Familien.
Du hast die Staatenprüfung angesprochen – welche Bedeutung hat diese?
Steger: Die Staatenprüfung war das Highlight, da in diese sehr viel Zeit und Energie einfloss. Dies war aber auch schon der Fall, als ich Vorsitzende des Monitoringausschuss war. Die Staatenprüfung ist das wichtigste Instrument, um klarzumachen, dass wir mit unseren Forderungen nicht ungehörig, sondern unsere Aussagen valide sind. Ein Gremium hat anerkannt, dass Österreich viel zu wenig tut, um Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen ernst zu nehmen. Auf persönlicher Ebene habe ich aber unterschätzt, was das emotional mit mir macht. Ich konnte mich von der Staatenprüfung nur schwer erholen, denn das, was wir subkutan erleben, war plötzlich geballt sichtbar.
Ich glaube tatsächlich, dass manche Bundesländer nicht verstanden haben, dass die Konvention im Grunde eine Revolution ist, die sich in der Legistik niederschlagen muss.
Was ist dir in deiner Arbeit besonders wichtig?
Steger: Der persönliche Kontakt zu Menschen steht im Vordergrund. Ich spreche gerne mit den Menschen, die Sprechtag- und Online-Termine wahrnehmen. Ich versuche auch, viel in den Bundesländern unterwegs zu sein. Aus diesem Grund vereinbare ich rund um die Sprechtage Termine mit Landessozialpolitiker*innen, Landtagsprecher*innen, Nicht-Regierungs-Organisationen, Projekten, Einrichtungen und Initiativen, um den Kontakt zu pflegen. Ich versuche unter Zuhilfenahme der bundesgesetzlichen Bestimmungen klarzumachen, dass es fast überall Anknüpfungspunkte zum Bundesgesetz gibt – auch wenn wir uns im föderalen Bereich bewegen.
Worauf möchtest du am Ende deiner Amtsperiode zurückblicken?
Steger: Dass wir einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch haben, wäre das wirkmächtigste Werkzeug.
Danke für das Gespräch.

Büro der Anwältin für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen
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