Am 13. April 2023 fand die Fachtagung der Anwaltschaft für Menschen mit Behinderung und des Kärntner Monitoringausschusses zum Thema Selbstbestimmte Sexualität und Behinderung statt.
Menschen mit Behinderungen sind sehr stark von Vorurteilen und Diskriminierungen betroffen, insbesondere auch in Bezug auf Sexualität. In verschiedenen Vorträgen wird sich dem Thema der sexuellen Selbstbestimmung gewidmet, welche Angebote es schon gibt und wo noch Aufholbedarf besteht. Die Moderation der Veranstaltung erfolgt durch Thomas Čik, Zusammenfassungen in leichter Sprache erfolgten von Petra Plicka.
Vom Tabu Sexualität bis hin zu Sexualberatung/ Sexualbegleitung – Dr. Christoph Kolb und Ronja Turin-Zelenko, BA, Fachstelle Hautnah
Den ersten Vortrag gaben Dr. Christoph Kolb und Ronja Turin-Zelenko, BA von der Fachstelle Hautnah der Alpha Nova Betriebsgesellschaft. Das Ziel der Fachstelle Hautnah ist es, selbstbestimmte Sexualität möglich zu machen. Kolb erklärt, dass Sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht ist und Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen gegeben sein muss, damit auch Sexualität selbstbestimmt passieren sein kann. Dadurch, dass Menschen mit Behinderungen in vielen Bereichen noch nicht selbstbestimmt leben können, dass sie oft keine Aufklärung erhalten und das Thema oft tabuisiert werde, können viele Menschen mit Behinderungen ihre Sexualität nicht selbstbestimmt ausleben. „Viele Menschen mit Behinderungen erleben sexualisierte Gewalt und das ist ein Skandal“, so Kolb.
Die Fachstelle Hautnah bietet Schulungen, Beratungen und Peer Gruppen für Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen. Wie die Peer Beratung in der Fachstelle Hautnah abläuft erklärt Ronja Turin-Zelenko.
Sexualität macht mich menschlich – warum Sexualität Menschen mit Behinderung ermächtigt – Charlotte Zach, BA
Der zweite Vortrag folgt von der Psychologin und Kolumnistin Charlotte Zach in Form eines Videovortrages. Sie erklärt, wie Ableismus und strukturelle Diskriminierung mit selbstbestimmter Sexualität zusammenhängen. Aufgrund dieser Diskriminierung passieren immer noch sexualisierte Gewalt, Zwangsverhütung, Infantilisierung, und es werden Sonderwelten aufrecht erhalten, in denen Menschen mit Behinderungen nicht die gleichen Rechte und Chancen haben, wie Menschen ohne Behinderungen. „Sexualität macht mich stärker und menschlich“, so Zach.
Chancen und Grenzen der Sexualbegleitung – Lialin
Lialin arbeitet als Sexualbegleiterin in der Steiermark. Sie erklärt, wie Sexualbegleitung in Österreich stattfinden kann, wie die gesetzlichen Regelungen in den Bundesländern sind, und was Sexualbegleitung beinhaltet.
Im Rahmen von Sexualbegleitung könne man Erfahrungen machen, Dinge erlernen und erleben, und Fragen stellen, zum Beispiel: wie gehen wir miteinander um, wie geht flirten oder wie lerne ich jemanden kennen. Man könne sich weiterentwickeln, Erfahrungen sammeln und gute Gefühle erleben. Was Sexualbegleitung nicht biete ist Therapie, es sei keine Liebesbeziehungen und manche schließen auch Geschlechtsverkehr aus. Ein Problem bei der Sexualbegleitung seien die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen in den Bundesländern und oft auch die mangelnde Akzeptanz aus dem Umfeld.
Sexuelle Gewalt – Problemlage und Handlungsmöglichkeiten – Mag. Elisabeth Udl, Verein Ninlil
Der Verein Ninlin ist ein Verein für Empowerment und Beratung für Frauen mit Behinderung, und arbeitet gegen die sexuelle Gewalt gegen Frauen mit Lernschwierigkeiten.
Menschen mit Behinderungen seien noch immer verstärkt von sexualisierter Gewalt betroffen. Die Studie aus dem Jahr 2019 zum Thema „Erfahrungen und Prävention von Gewalt an Menschen mit Behinderungen“ ist auch in leichter Sprache verfügbar.
Udl erklärt, welche unterschiedliche Formen von Gewalt es gibt, woran man sexualisierte Gewalt erkennen kann, warum Menschen mit Behinderungen so häufig betroffen sind und welche Anzeichen es gibt, die auf sexualisierte Gewalt hindeuten können. „Wenn wir gegen sexualisierte Gewalt arbeiten wollen, müssen wir dafür sorgen, dass Selbstbestimmung in allen Bereichen des Alltags möglich ist, und dafür muss es Spielräume geben“, so Udl.
Menschenrechtliche Aspekte und Sexualität – Volksanwalt Mag. Bernhard Achitz
Zu Beginn des Vortrages erklärt Achitz, dass die Volksanwalt ist neben Probleme mit Behörden auch für die Einhaltung der Menschenrechte zuständig ist. Sie überprüft im Rahmen dieser Tätigkeit, ob die in der UN Behindertenrechtskonvention festgeschriebenen Rechte in der Praxis eingehalten werden und ob Menschen mit Behinderungen in Einrichtungen selbstbestimmt leben können.
In einem aktuellen Bericht der Volksanwaltschaft werden die Ergebnisse von Besuchen von über 100 Einrichtungen zusammengefasst, bei denen überprüft wurde, welche Rahmenbedingungen in Einrichtungen in Bezug auf die sexuelle Selbstbestimmung herrschen, z.B.: Gibt es sexualpädagogische Konzepte, gibt es Übernachtungsmöglichkeiten, wie findet sexuelle Aufklärung statt oder sind Betreuer*innen im Bereich der Sexualpädagogik ausreichend geschult. Die Ergebnisse dieses Berichtes werden im Herbst 2023 veröffentlicht und an die Politik herangetragen.
„Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung betrifft alle Menschen, sowohl Menschen mit Behinderungen und Menschen ohne Behinderungen“ so Achitz. Die Volksanwaltschaft werde dafür Sorge tragen, dass das in den Köpfen der handelnden Personen ankommt und dass entsprechende Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden.
Verabschiedung und Schlossworte
Schlussworte kamen von Ernst Kočnik, Vorsitzender des Kärntner Monitoringausschuss und Isabella Scheiflinger, Leiterin der Anwaltschaft für Menschen mit Behinderung des Landes Kärnten.
In ihren Schlussworten stellt Scheiflinger fest: „Was sich bestätigt hat, ist, dass wir nicht mit dieser Tagung abschließen können und so weitertun wie gehabt, sondern dass wir mit den Ergebnissen weiterarbeiten müssen und sollen, unter Einbeziehungen der Menschen mit Behinderungen und Expert*innen. Ich versichere ihnen, wir bleiben dran“, so Scheiflinger.
Mit einem musikalischen Beitrag der Band Mit Leib und Seele mit Elena und Gerith wird die Veranstaltung beendet.
von Andrea Strohriegl